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Ich lebe: Vertrauen

Reihe von Dr. med. Tönet Töndury / Winter 2004

Nach einem Vortrag im TRILOGOS am 12. November 2004

"Ich habe Vertrauen" – wie leicht kommt uns diese Bestätigung über die Lippen! Wir haben sie sosehr verinnerlicht, dass ganz viele unserer alltäglichen, banalen Aktivitäten zur vertrauensvollen Selbstverständlichkeit geworden sind, über deren Risiken wir gar nicht nachdenken:

  • Es ist selbstverständlich, dass der Stuhl, auf den ich mich setze, das Gewicht trägt, ich vertraue darauf und unterziehe ihn keiner vorgängigen Prüfung.
  • Es ist selbstverständlich, dass das auf der Verpackung angegebene Gewicht stimmt, ich vertraue darauf und lege den Inhalt nicht auf die Waage.
  • Es ist selbstverständlich, dass das E-Mail den richtigen Adressaten erreicht, ich vertraue darauf und überbringe meine Botschaft nicht persönlich, auch wenn oder gerade weil ich von den technischen Vorgängen überhaupt keine Vorstellung habe.

"Ich habe Vertrauen" heisst: Ich bin sicher, dass meine Erwartungen erfüllt werden.

Ärgerlich, "Vertrauen" mit solch alltäglichen Banalitäten zu verbinden! unterbricht mich ein Zuhörer. Vertrauen habe mit Spiritualität und den Geistigen Helfern zu tun, die unser Tun und Lassen überwachen, allzeit und überall bereit zu unseren Gunsten einzugreifen.

Richtig – die Vertrauensfähigkeit kommt von dort, kommt aus der Geistigen Dimension:

Bei Antritt des irdischen Lebens ist jeder Mensch mit dem uneingeschränkten gottgegebenen Vertrauen ausgestattet. Er legt sich nackt, lebensuntüchtig und wehrlos in die Arme der Eltern und lässt sich nähren, kleiden und umsorgen – vollkommen selbstverständlich, ohne jedes Misstrauen, sogar zu Misstrauen unfähig, einzig durch Laute des Missbehagens von Zeit zu Zeit auf sich aufmerksam machend. Am Anfang ist das Vertrauen, das bedingungslose Vertrauen, das uns durch das ganze Leben begleitet und das Fundament der Lebensfähigkeit bildet. Ohne die intuitive, nicht hinterfragte Sicherheit, dass sich die Erwartungen an Mitmenschen, Objekte, Situationen erfüllen, kämen wir vor lauter Hinterfragen und Überprüfen gar nicht vom Fleck.

Es ist eine wichtige Aufgabe des Verstandes, die Vertrauenswürdigkeit der Mitmenschen, Objekte, Situationen zu hinterfragen: Der Verstand sät Misstrauen und fordert dadurch unsere Intelligenz. Für die Lebensentwicklung sind Vertrauen und Misstrauen ein unentbehrliches, unzertrennliches Paar. Sehnsucht und Suche nach Vertrauen wachsen aus dem Misstrauen und wirken als Motor für Erforschung und Erkenntnis. Das Misstrauen weckt, bringt in Bewegung mit dem Ziel, Vertrauen zu finden. Dabei ist natürlich nicht von einem Selbstzweck-Misstrauen die Rede, das heute besonders gerne in der Politik praktiziert wird und die Zerstörung des politischen Gegners zum Ziel hat; solches Misstrauen kann keinen Beitrag zur Vertrauensbildung leisten, es lähmt statt dass es bewegt.

(Potentielles) Misstrauen führt zu Kontrollmassnahmen, denn der Verstand sagt uns: "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser". Vom jüngsten bis ins höchste Alter sind wir ständigen Kontrollen unterworfen und führen auch selber ständige Kontrollen durch.

  • Die Zusicherung der geputzten Zähne durch das Kind wird von den Eltern mit dem Erschnuppern der Zahnpasta erhärtet.
  • Die Einhaltung der Tempolimiten wird durch blecherne Polizisten überprüft.
  • Die Unsicherheit gegenüber der Ehrlichkeit der Kunden findet in den zahlreichen Gates und Kameras ihren Ausdruck, die wir tagtäglich passieren.

Bei diesen Beispielen liegt das Gewicht mehr auf der Kontrolle als auf dem Ausdruck von Misstrauen: Kontrolliertes Vertrauen. Dieses geniesst besonders dann die kaum hinterfragte Akzeptanz, wenn die Kontrolle zusätzlich mit Anerkennung, konstruktiver Kritik und notwendiger Korrektur verbunden wird wie bei der Korrektur/Kontrolle der Schulaufgaben oder der Korrektur/Kontrolle der Arbeitsleistung eines Mitarbeiters. Wir betrachten das als vertrauensbildende Massnahmen, nicht als Misstrauen.

Vertrauen stärkt. Wer spürt, dass ihm Vertrauen geschenkt wird, fühlt sich gut, fühlt Kraft und Fähigkeit, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Er strengt sich an und ist motiviert, gegen hemmende äussere Einflüsse gefeit: Er verdient das Vertrauen.

Spürbares Misstrauen hingegen macht unsicher. Der Unsichere stellt seine Kraft und Fähigkeit bald selber in Frage, erledigt seine Aufgabe mit ständigem Blick auf die andern. Er strengt sich zwar an, aber das Gefühl, in den Augen der andern nicht zu genügen, lähmt die Motivation: Dadurch wird die Leistung tatsächlich ungenügend, und das Misstrauen erhält seine Rechtfertigung – es entsteht ein Teufelskreis; wer ist noch nie in einen solchen geraten?!

Vertrauen schenken ist Ausdruck von innerer Stärke, die ihrerseits auf einem soliden Selbstvertrauen baut, das von äusserer Beeinflussung nicht so schnell untergraben wird. Starke Eltern sind sich bewusst, dass sie ihrem Kind stets verantwortbares Vorbild sind, dass sie ihm alle (Lebens-) Information in altersgerechter Form geben, dass sie auf seine Problem eingehen und schwierige Situationen mit ihm zusammen in partnerschaftlichen Weise angehen. Gleitet das Kind allmählich in die Selbständigkeit, in neue Beziehungen und ungeschütztes Umfeld, so lassen sie es gehen begleitet von ihrem Vertrauen. Rabeneltern: Sie stupfen das Junge aus dem Nest, wenn es flügge geworden ist, weil sie darauf vertrauen, dass die Flügel tragen.

Innerlich schwache Menschen sähen gerne Misstrauen. Sie sagen nur die halbe Wahrheit und behalten die andere Hälfte für sich, informieren unvollständig oder unverständlich, setzen unerwartete Kontrollen an und strafen denjenigen, der nicht genügt. Es entsteht eine Atmosphäre ständiger Unsicherheit, von Angst und Versagen: Die Schüler werden schwach, die Angestellten unzuverlässig, die Bevölkerung wird unterwürfig. Dadurch fühlen sich Lehrer, Chef und Diktator mächtig und überlegen und sind blind für die Einsicht, dass ihre Autorität auf bröckligem, erodierendem Boden steht, auf dem Boden ständigen Misstrauens.

Erneut meldet sich der Zwischenrufer im Trilogos: Viel zu sehr sei von Misstrauen die Rede, dadurch werde die Erhabenheit von Vertrauen zerstört. Es ergibt sich eine Diskussion, ob Vertrauen ein eigenständiger Wert sei oder ob es – im Sinne des polaren Denkens – seinen Wert erst in Verbindung mit Misstrauen erhalte, von diesem gar nicht zu trennen sei.

Im weltlichen, gesellschaftlichen Sinn, sind Vertrauen und Misstrauen ein Wertepaar, dem wir im Leben auf Schritt und Tritt begegnen. Das Misstrauen deutet auf die Beschränktheit, Kleinlichkeit, Ängstlichkeit des Verstandes, der sich von der Geistigen Verbindung abgekoppelt hat – wir glauben, alles selber im Griff und unter Kontrolle halten zu müssen. Auch wenn wir mit unserem Sein grundsätzlich einverstanden und in Frieden sind, spüren wir Misstrauen gegenüber unseren eigenen Eigenschaften, Fähigkeiten, Situationen. Da wir das Misstrauen schlecht ertragen, fühlen wir uns aufgefordert, die Situation zu überprüfen und zu verändern, Bestehendes loszulassen und uns auf die Suche nach dem Vertrauen zu machen. Wenn wir dieser Aufforderung nicht folgen, stellen sich körperliche, seelische Krankheiten ein, wird das Verhältnis zur Mitwelt gestört. Wir müssen uns verhalten wie der Affe, der sich durch die Lianen schwingt und die eine Liane loslässt, bevor er die nächste packen kann: Er fliegt einen Moment lang frei durch die Luft. Damit auch wir loslassen können, brauchen wir Vertrauen, das gottgegebene Vertrauen, das uns aus der Geistigen Dimension zukommt und die Sicherheit zum Wagnis der Lebensentwicklung gibt, das unser Einverständnis mit dem irdischen Leben schafft, wenn wir es nur wir es zulassen.

Das gottgegebene Vertrauen fühlt sich wahrscheinlich für jeden etwas anders an. Ich fand einen Ausdruck davon in den folgenden Meditationen aus dem Buch "Erwache in Gott" von Silvia Wallimann:

"ICH BIN ein Strom des Segens, wunderbar in meinem Selbst geborgen. Ich löse mich bewusst von der Vergangenheit und von allen Spannungen und Schwierigkeiten meines Lebens. ICH BIN – das göttliche Bemühen, Liebe und Segen in alle Aufgaben zu verströmen. Ich schaue auf Gott und auf seine Quelle der Liebe und des Segens in mir. Nun lasse ich alle meine Bewusstsein von Liebesströmen und Segensströmen des göttlichen ICH BIN durch- fluten, Weisheit und Gelassenheit erfreuen sie: Gott hält den Plan meines Lebens in seiner Hand, und ich vertraue ihm."

  • ICH BIN ein Strom des Segens.
  • ICH BIN das Licht der Welt.
  • ICH BIN die strahlende Sonne meines Lebens.
  • ICH BIN die unbeschränkte Kraft in allem Tun.
  • ICH BIN die ewige Quelle der ewigen Liebe.
  • ICH BIN die Auferstehung und das Leben.
  • ICH BIN der ICH BIN.

ICH BIN steht für die Einheit meines Seins und für seine Verbundenheit mit der universellen Lebensenergie, mit der Weltenseele, mit Gott.

Einmal (niemand weiss wann) am Anfang der biologische Entwicklung unseres Organismus öffnet sich die Verbindung zur Weltenseele, und die Seele verbindet sich mit dem auserwählten Körper zum lebendigen Sein. Diese Verbindung bleibt zeitlebens bestehen, sie ist die Rückbindung/Religion an unsere Geistige Herkunft, die Nabelschnur des Vertrauens. Wir kommen aber nicht auf die Erde, um dieses Vertrauen zu geniessen sondern um zu lernen, um uns von unzähligen Einflüssen durchschütteln zu lassen. Das beginnt schon im jüngsten Alter: Das Kind beobachtet, ahmt nach, wird erzogen, erhält eine schulische Ausbildung, eine beruflichen Ausbildung. Es wird erwachsen und selbständig, sucht nach materieller Sicherheit, entwickelt sein eigenes soziales Umfeld und seine Stellung in der Gesellschaft. Der Erwachsene versucht sich im Spiegel seiner Mitwelt selber zu verwirklichen durch Anwendung seiner körperlichen Kräfte und Anziehung, seiner Intelligenz und Erfahrung. Er wird dabei beflügelt und gelähmt durch seine Gefühle, die ihm ein ständiges Wechselbad von Aufbruch und Resignation, von Glück und Trauer bescheren. Er wähnt sich gehalten von seinen Mitmenschen, von seinem gesellschaftlichen Prestige, von seinen materiellen Gütern.

Dieses irdisch-menschliche Erziehen, Ausbilden, Bemühen hat zentrifugale Kraft, zwingt die Lebensentwicklung auf eine sich öffnende Spirale. Es führt vom Zentrum weg, weg von der Verbindung zur Geistigen Welt, weg vom gottgegebenen Vertrauen und damit auch weg vom Selbst. Je weiter sich die Spirale öffnet, desto lockerer wird die Verankerung im Vertrauen, desto fragwürdiger wird das Tun. Statt Fülle entsteht ein Gefühl seelischer Leere. Es meldet sich Misstrauen gegenüber der Richtigkeit weltlich dominierten Strebens, das die Religion ins Museum der Sitten und Gebräuche drängt: Midlifecrisis ist das Modewort für diesen Zustand. Wer diese Zeichen richtig deutet, erkennt in ihnen die Aufforderung zur Suche nach dem Sinn des Seins. Er lockert die Bindung an gesellschaftliche Werte und wendet sich seinem Selbst zu, dem Wiederfinden des Vertrauens, dessen Erinnerung in ihm tiefe Sehnsucht nährt und eine unwiderstehliche zentripetale Kraft ausübt: Die Lebensspirale beginnt sich überzeugend oder zögernd zu schliessen, und wenn sie das Zentrum über kurz oder lang erreicht hat, ist das Selbst gefunden, das tiefe, umfassende Vertrauen wieder hergestellt. Jetzt kann die Rückkehr in die Weltenseele erfolgen, der Tod besiegelt das Leben als Freund und Vertrauter.

von Dr. med. Tönet Töndury

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